24. Juni 2015

Rede: Stärkung der ÖRA im Sozialrecht (24. Juni 2015)



Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Wer eine Wohnungskündigung aus unerklärlichem Grund im Briefkasten vorfindet, wer auf einmal keinen Unterhalt mehr vom Ex erhält, oder wem der Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente nicht bewilligt wird, wer sich in solchen Situationen wiederfindet, fühlt sich häufig machtlos, allein und denkt sich, er könne sowieso nichts dagegen tun. Das Gefühl von Machtlosigkeit und Verzweiflung steigt, wenn man keine finanziellen Möglichkeiten hat, um eine Anwältin oder einen Anwalt zu bezahlen.
Um diese Situation zu vermeiden, dass in Hamburg niemand aus finanziellen Gründen Entscheidungen einfach hinnehmen muss, die vielleicht nicht rechtens sind, gibt es die Öffentliche Rechtsauskunft. Die ÖRA leistet seit fast 70 Jahren sehr gute Arbeit. Als unabhängige Beratungsinstanz trägt sie zur außergerichtlichen Streitschlichtung bei und berät Menschen mit geringem Einkommen in fast allen Lebenslagen und -bereichen. Neben einem Team von festen Angestellten arbeiten über 180 Juristinnen und Juristen ehrenamtlich für die ÖRA und beraten Betroffene. Das ist eine enorme Leistung, die unsere Anerkennung verdient.
Mit dem vorliegenden rot-grünen Zusatzantrag wollen wir die ÖRA im Bereich des Sozialrechts personell verstärken. Liebe Frau Hannemann, das ist das Schöne am Regieren: Manchmal geht man zwar Kompromisse ein, aber wir können konkrete Verbesserungen herbeiführen, und das ist ein verdammt gutes Gefühl.
Für einen Rechtsstaat ist es enorm wichtig, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, sich für ihre Interessen einzusetzen, gerade auch gegenüber dem Staat und staatlichen Institutionen. Insbesondere bei sozialrechtlichen Belangen ist dies von großer Bedeutung. In demokratischen Staaten gilt: Verwaltungshandeln ist nicht unanfechtbar, es muss hinterfragt werden dürfen. Mündige Bürgerinnen und Bürger brauchen die Mittel, um dies tun zu können. Das ist ihr gutes Recht.
Beim Sozialrecht sind niedrigschwellige und unabhängige Angebote unverzichtbar. Für die Betroffenen geht es teilweise um nicht mehr und nicht weniger als um ihre gesamte Existenzgrundlage. Für den, der von weniger als 400 Euro Sozialleistungen lebt, ist jede Reduzierung des Leistungssatzes, jede Sanktion existenzbedrohend. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Menschen dann unter das gesetzlich definierte Existenzminimum fallen, mit welchem es eh schon schwierig ist, angemessen für sich zu sorgen. Umso wichtiger ist es, dass Hartz-IV-Empfängerinnen und –Empfänger eine Anlaufstelle haben, die sie im Konfliktfall unabhängig berät und dabei unterstützt, ihre Interessen gegenüber dem Jobcenter durchzusetzen.
Uns ist wichtig, dass in Hamburg alle Betroffenen ihren Rechtsanspruch wahrnehmen können. Die soziale Lage darf nicht darüber entscheiden, wer sich eine Rechtsberatung leisten kann und wer nicht. Rechtliche Beratung darf kein Privileg sein, sondern muss für alle einkommensunabhängig zur Verfügung stehen.
In der personellen Stärkung ist es natürlich auch wichtig, dass das Angebot der ÖRA bekannter wird. Daher wollen wir gezielt in den Jobcentern dafür werben. Derzeit ist nur jede zehnte Beratung bei der ÖRA im Bereich des Sozialrechts zu verorten. Angesichts des anzunehmenden Bedarfs gehen wir davon aus, dass viele ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger das Angebot der ÖRA nicht kennen und nicht wissen, dass sie sich in ihren Fragen und Belangen von ihr beraten lassen können.
Daher wollen wir in den Jobcentern und in allen Sozialdienststellen der Stadt gezielt auf das Angebot der ÖRA aufmerksam machen. Wenn sich herausstellt, dass der Bedarf auch mit der Stärkung nicht gedeckt wird, wollen wir das Angebot weiter ausbauen. Die Rechtsberatung hilft, dass Menschen in dieser Stadt nicht ungerecht behandelt werden. Bürgerinnen und Bürger müssen sich für ihre Rechte einsetzen können und brauchen die dafür nötige Unterstützung. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Zusatzantrag.  Danke sehr.