17. Juni 2022

Nicht ohne uns, über uns! Diskriminierung von Frauen mit Behinderung beenden

Bericht vom Workshop „Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen“ im Rahmen des Antidiskriminierungskongresses der GRÜNEN Bürgerschaftsfraktion am 10. Juni 2022.

Leitung und Moderation: Mareike Engels

Frauen mit Behinderung sind mehrfach von Diskriminierung betroffen, zusätzlich zu den Merkmalen Frau und Behinderung können auch noch weitere Merkmale hinzukommen: Zum Beispiel ein Migrationshintergrund oder die sexuelle Orientierung. Frauen mit Behinderung sind wiederum überproportional von Gewalt und Diskriminierung betroffen, weswegen wir dies zum Thema eines Workshops beim Antidiskriminierungskongress gemacht haben.

Zum Auftakt gab es einführende Statements von Bianca Bicker (Werkstatträtin und Frauenbeauftragte bei den Elbe-Werkstätten) und Ulrike Kloiber (Senatsbeauftragte für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, die über ihre Arbeit berichteten. Bianca Bicker plädierte besonders dafür, die guten Erfahrungen mit den Frauenbeauftragte in den Werkstätten auf das Heimgesetz zu übertragen und auch Frauenbeauftragte in Wohneinrichtungen zu schaffen. Ulrike Kloiber warb u.a. dafür die Ausstellung „Echt mein Recht“ für Hamburg fest anzuschaffen.

In der anschließenden lebhaften Diskussion ging es um Veränderungsbedarfe und Forderungen von Menschen mit Behinderung auf Ebene der Werkstätten sowie auf Landes- und Bundesebene.

Im Zentrum der Kritik stand die Arbeit in den Werkstätten. Die geringe Bezahlung dort stehe in keinem Verhältnis zu der Leistung, die von den arbeitenden Menschen dort erbracht wird. In Hamburg liegt die Bezahlung etwa bei 200 Euro im Monat bei Vollzeit-Arbeit und muss deshalb regelmäßig durch Grundsicherungsleistungen ergänzt werden. Die Kombination mit der Grundsicherung führt dazu, das alle zusätzlichen Einnahmen (z.B. Weihnachtsgeld) von der Grundsicherung wieder abgezogen werden. Das Bezahlungssystem der Werkstätten werde von den Betroffenen als geringschätzend, diskriminierend und entwicklungshemmend empfunden.

Auch die Bezeichnung der Menschen in den Werkstätten als „Beschäftigte“ werde als diskriminierend empfunden, weil sie darin nur passiv angesprochen werden. Sie sollten in Werkstätten und Gesetzen „Mitarbeitende“ genannt werden, um ihrer Arbeitsleistung gerecht zu werden.

Kritik gab es auch an der Integrationsleistung von Werkstätten. Kritisiert wurde, dass Werkstätten ein Interesse daran haben, ihre leistungsstärksten Mitarbeiter*innen zu halten, um ihren Eigenanteil (20%) an den Kosten der Einrichtung zu erwirtschaften. Für die oft im Übergang notwendige intensive Unterstützung der Mitarbeitenden bei Übergang in den ersten Arbeitsmarkt fehlen deshalb Ressourcen. Diese Finanzierungslücke müsse geschlossen werden. Dabei zeige z.B. die intensive Förderung der Frauenbeauftragten in Hamburg, wie viel Entwicklungspotential in den Menschen steckt.

Weiteres Ärgernis ist auch die Fehlbelegungsabgabe, mit der sich Arbeitgeber von der Verpflichtung befreien können schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Diese Abgabe sei grds. zu niedrig um die gewünschte Wirkung zu erreichen und Unternehmen können sie auch noch von der Steuer absetzen. Das sollte dringend geändert werden.

Am Übergang zum ersten Arbeitsmarkt wurden weitere Hürden identifiziert. So enthalten Stellenausschreibungen oft zu hohe Hürden für behinderte Menschen. Sie wirken fast nie einladend und entmutigen oft Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch die Erfahrungen mit dem Jobcenter sind eher negativ, denn von dort kommen meist nur Angebote für Jobs mit niedrigen Anforderungen. Jobangebote für behinderte Akademiker*innen existieren quasi überhaupt nicht.

Angesprochen wurden auch Punkte außerhalb des Arbeitslebens. So müssten die Freizeittreffpunkte reformiert werden. Dort sollten auf den Stellen für Sozialpädagog*innen mehr Menschen mit Behinderungen arbeiten, um den Peer-Counseling-Ansatz umzusetzen. Peer-Counseling meint, das Betroffene mit Betroffenen arbeiten, also mehr behinderte Menschen in der Freizeittreffs als Betreuer*innen arbeiten sollten. Das würde das Angebot besser und attraktiver machen und reguläre Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen. Das sollte auch im Hamburger Landesaktionsplan verankert werden. Gerade die Träger der Eingliederungshilfe könnten über eine Quotenregelung in der Trägervereinbarung verpflichtet werden mehr Menschen mit Behinderung auf normalen Arbeitsplätzen einzustellen.  Hier wäre die nächste  anstehende Neuverhandlung der Trägerbudgets eine Chance zur Finanzierung neuer Modelle.

Zudem solle das Freizeit- und Kulturangebot für Menschen mit Behinderung in Hamburg vielfältiger und zugänglicher werden. Schriftdolmetschung als Teil der Barrierefreiheit müsse selbstverständlicher werden und dürfe nicht immer an den Kosten scheitern.

Gefragt wurde auch, was speziell  Frauen mit Behinderung erleben, wenn sie Kinder bekommen. Hier leiste Hamburg nach der Einschätzung von Frau Kloiber eine relativ gute Betreuung, aber die Frauenhäuser für Frauen in Not seien nicht barrierefrei. Das müsse sich ändern. Zudem verfügt in Hamburg keine gynäkologische Praxis über eine Hebevorrichtung, um Rollifahrerinnen zu versorgen.

Hinzu kommt, dass Frauen mit Behinderung in den Arztpraxen mehr Zeit brauchen. Problem sei aber, dass die wenigen Praxen, die das leisten schnell überfordert seien, weil immer mehr behinderte Patient*innen dorthin gingen. Die schon jetzt schwierige Situation werde noch verschärft durch den Trend zu großen Medizinischen Versorgungspraxen, die von Kapitalgebern betrieben und als Profitzentren hohe Gewinne erwirtschaften müssen. Dort würde versucht, aufwändigere Fälle schon von vornherein abzuweisen.

Zusammenfassung der Forderungen:

  • Sofort: Veränderung der Anrechnungspraxis bei zusätzlichen Einnahmen von Menschen mit Behinderung, die in Werktstätten arbeiten
  • Grds. Reform der Bezahlung in Werkstätten und des Werkstattsystems
  • Ansprache als Mitarbeitende, nicht als Beschäftigte
  • Bessere Finanzierung der Unterstützung der Übergänge aus Werkstätten in den Arbeitsmarkt
  • Kontrolle, ob Förderung wirklich erbracht wird
  • Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit der Fehlbelegungsabgabe
  • Jobcenter müssen auch Angebote für höher qualifizierte Menschen mit Behinderung anbieten
  • Reform der Freizeittreffpunkte, Stärkung des Peer-Counseling Ansatzes
  • Mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung bei Trägern der Eingliederungshilfe (Quotenregelung)
  • Barrierefreier Zugang zu den Frauenhäusern
  • Hamburg braucht barrierefreie Frauenarztpraxen (z.B. Förderung von Hebevorrichtungen)
  • Ausstellung „Echt mein Recht“ für Hamburg anschaffen
  • Frauenbeauftragte auch in den Wohneinrichtungen nach Heimgesetz einführen

Schlussbemerkung: Nicht alle Forderungen konnten ausdiskutiert werden, sondern waren Positionen in der Diskussion mit überwiegend großer Zustimmung, mit denen weiter politisch gearbeitet werden muss.