27. September 2014

LMV-Rede: Prostitution – Dialogorientierte Politik statt Repression!

Bei der Landesmitgliederversammlung der GRÜNEN Hamburg am 27. September 2014 habe ich basierend auf dieser Vorlage gegen einen Änderungsantrag zum Wahlprogramm geredet.
Liebe Freundinnen und Freunde,
der Umgang mit dem Thema Prostitution ist schwierig und komplex. Es gibt hier keine einfachen Antworten und schon gar nicht die eine Antwort, die allen uneingeschränkt hilft. Die Antragstellerin fordert ein Verbot der Prostitution – aber genau diese Forderung halte ich für zu einfach und undifferenziert. Sie geht an den sehr unterschiedlichen Lebenslagen der Prostituierten vorbei und verschärft ihre sozialen Notlagen. Und auch als Feministin sage ich euch, so darf unsere Antwort nicht aussehen! Selbstbestimmung und Emanzipation sind für uns GRÜNE zentrale Werte. Bevormundende Politik können wir getrost den Konservativen in diesem Land überlassen. Denn soziale Probleme können wir nur sozialpolitisch lösen. Repression hilft den Prostituierten kein Stück weiter!
Schauen wir uns einmal die Situation in St. Georg näher an. Hier greift seit einiger Zeit ein Kontaktverbot, welches Freier mit einem Bußgeld belegt. Die Konsequenz ist,

  • dass die Rolle von Zuhältern als Vermittler wichtiger wird
  • dass die Prostitution verstärkt hinter verschlossen Türen statt findet
  • dass Freier den Preis drücken – sozusagen als Risikoprämie
  • Und dass Prostituierte Freier nicht mehr auf offener Straße in einem Gespräch abchecken können. Nun steigen sie viel schneller in ein Auto ein oder treffen sich an unsicheren Orten.

Wir sehen, das Kontaktverbot hilft genauso wenig wie die Sperrgebietsverordnung. Es gibt nicht weniger Prostitution, sondern eine Verlagerung in weniger geschützte Bereiche und die Frauen sind stärker von Gewalt betroffen. Und auch die sozialen Probleme in St. Georg verschärfen sich weiter. Ist das wirklich unser Ziel? Ich hoffe nicht.
Vor wenigen Wochen war ich bei einem Gespräch im Café Sperrgebiet, einer Beratungsstelle für junge Prostituierte in St. Georg. Irgendwann diskutierten wir die Frage: Was bedeutet eigentlich Freiwilligkeit? Viele der Frauen treffen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Entscheidung sich zu prostituieren. Es ist vielleicht nicht ihr Lieblingsjob auf Erden, aber bei der Wahl zwischen einem Minijob bei Aldi an der Kasse und der Arbeit als Prostituierte entscheiden sie sich für letzteres. Die Entscheidung würden vielleicht die meisten von uns anders treffen, aber nichtsdestotrotz sollten wir niemanden für diese Entscheidung verurteilen. Wir sollten lieber kritisieren, dass viel zu viele Frauen in unserem Land prekärer und schlechter Arbeit nachgehen müssen, so dass es einigen Frauen attraktiver erscheint anschaffen zu gehen. Viele Prostituierte stehen bereits am Rand unserer Gesellschaft, lasst uns solidarisch mit ihnen sein und sie nicht noch weiter stigmatisieren!
Aber keine Frage, es gibt Zwangsprostitution und Menschenhandel. Und diese müssen wir bekämpfen. Hier müssen wir bei Polizei und Justiz und in der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik ansetzen. Im Wahlprogramm stehen dazu einige wichtige Punkte und auch unsere Bundestagsfraktion macht gute Arbeit dazu. Aber sowohl die Fachleute von Koofra, der Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel in Hamburg sowie vom Landeskriminalamt sagen: Gerade für die Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel brauchen wir starke Rechte auf die sich die betroffenen Frauen berufen können. Ein Verbot der Prostitution erschwert ihnen die Arbeit.
Ich möchte kein Moralapostel sein und erst Recht möchte ich meine Moral nicht über das Strafrecht anderen aufdrängen. Stimmt bitte gegen den Änderungsantrag. Lasst uns für eine dialogorientierte und bei den Lebenslagen der betroffenen Menschen ansetzenden Politik streiten und nicht auf Repression und Stigmatisierung setzen. Das erwarte ich von grüner Politik! Das erwarte ich von euch!