Gedanken zur aktuellen Migrationsdebatte

Deutschland nimmt aktuell viele Menschen auf, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Allen voran rund 1 Mio. Menschen aus der Ukraine, die sich vor dem russischen Angriffskrieg in Sicherheit bringen. Und natürlich kommen auch weiterhin Geflüchtete aus anderen Ländern wie Afghanistan, Syrien, Irak und Iran an. Es sind aktuell mehr als in den Corona-Jahren, aber bei weitem nicht so viele wie 2015 und 2016. Bei der Unterbringung, Versorgung und Finanzierung kommen viele Kommunen gerade an Grenzen des Leistbaren. Das löst eine Debatte über die Forderung nach einer Begrenzung der Migration aus. Diese kommt immer weiter in der Mitte des demokratischen Diskurses an und ist zentrales Thema bei der Ministerpräsident*innenkonferenz. Diesen Diskurswechsel betrachten wir mit großer Sorge, weil er Fakten ignoriert und Ansätze ausblendet, mit denen wir hier in Deutschland, in den Ländern und Kommunen durchaus unserer humanitären Verantwortung gerecht werden können, ohne uns abzuschotten. Daher hier ein paar Einordnungen, Bewertungen und Thesen aus unserer Sicht als Fachpolitiker*innen für Soziales und Flucht.

von Mareike Engels und Michael Gwosdz

Wir haben eine Herausforderung bei der Unterbringung und bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, aber keine Migrationskrise!

  • Ja, es ist eine große Herausforderung Geflüchtete in Hamburg noch angemessen unterzubringen. Und es gelingt auch nicht immer die soziale Infrastruktur schnell genug zu steigern. Es fehlen Sozialarbeiter*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen. Aber der Grund hierfür ist nicht die aktuelle Fluchtmigration nach Hamburg, sondern der starke Zuzug durch ukrainische Geflüchtete im Jahr 2022 und die Tatsache, dass auch schon vor dem Angriffskrieg fast 30.000 Menschen in der öffentlichen Unterbringung lebten. Ein paar Zahlen: Insgesamt sind bisher 43.000 ukrainische Geflüchtete in Hamburg geblieben, davon rund 20.000 in öffentlicher Unterbringung. Alle anderen leben als Mieter*innen in Wohnungen oder bei Freunden und Bekannten. Daneben sind in diesem Jahr lediglich 9.689 Schutzsuchende aus anderen Ländern in Hamburg registriert worden, von denen 6.831 Personen in Hamburg verblieben waren. Im letzten Jahr waren die Zahlen geringer. Wir haben daher eine Unterbringungskrise und keine Migrationskrise.
  • Zur Unterbringungskrise gehört die Krise am Wohnungsmarkt. Schon vor Beginn des Kriegs lebten in Hamburg über 27.000 Menschen in öffentlicher Unterbringung, inzwischen sind es 46.000. Schon damals war fast die Hälfte wohnberechtigt. Da die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in den Notunterkünften per se wohnberechtigt sind, könnten auch sie sofort in Wohnungen wechseln, wenn es denn Wohnungen gäbe. Die deutliche Reduzierung von Wohnungslosigkeit würde daher die öffentliche Unterbringung entlasten. Wir brauchen Wohnungsbau statt Abschottung. Mit der Förderung von schnell realisierbaren Programmen wie der bereits einmal erfolgreich etablierten „Unterbringung Perspektive Wohnen“ wäre es möglich, dieser Lage zu begegnen.
  • Die Rede von der „nationalen Notlage“ löst alle diese Probleme nicht. Neben dem Beifall von der falschen Seite ist diese Wendung auch kontraproduktiv, weil sich künftig alle Gegner*innen von neuen Unterkunftsstandorten auf diese Überforderung berufen werden. Im Endeffekt wird die Rede von der eigenen Überforderung die jetzt notwendige Kreativität bei der Lösung der unmittelbar anstehenden Probleme lähmen und erschweren.

Wir brauchen kluge Integration statt symbolische Begrenzungsdebatten!

  • Grundsätzlich brauchen wir als Gesellschaft Migration. Wir haben einen demografischen Wandel und zunehmenden Fach- und Arbeitskräftemangel. Zahlreiche Firmen suchen händeringend Auszubildende und haben wenig Verständnis dafür, wenn sie einen jungen Menschen nicht einstellen können, weil dieser aus Ghana oder Nordmazedonien kommt und sind froh über die zahlreichen Syrer*innen und Afghan*innen, die in den letzten Jahren den Arbeitsmarkt und unsere Gesellschaft in Hamburg bereichert haben.
  • Das Recht auf Asyl ist wiederum ein Grundpfeiler unserer Demokratie und eine zentrale Lehre aus dem Grauen des Zweiten Weltkriegs und der Shoa. Dieses wurde bereits massiv durch die Asylrechtseinschränkung 1993 beschnitten.
  • Aktuell kommen v.a. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Menschen aus Afghanistan, Iran oder Syrien, aber auch aus Russland, die in Sicherheit, Freiheit und in der demokratischen Gesellschaft leben wollen, suchen nachvollziehbarerweise in Hamburg und Deutschland Schutz. Für eine nachhaltige Integration wäre es sinnvoller ihnen den Weg nach Deutschland zu erleichtern und nicht wochen- oder monatelang in Grenzlagern zu belassen.
  • Die Belastung der Kommunen ist aktuell hoch und muss zeitnah gelöst werden. Alle Debatten um Begrenzung von Flucht- und Migrationsmöglichkeiten werden wenn überhaupt erst in einigen Jahren Wirkung zeigen. Zeitgleich brauchen wir Migration und wollen aus guten Gründen das Recht auf Asyl wahren. Wir sollten also über Maßnahmen zur Entlastung der Kommunen, weitere Unterbringungs- und Wohnmöglichkeiten, über das Entschlacken von Verwaltungsverfahren und Stärkung der sozialen Infrastruktur sowie der Integrationsmaßnahmen sprechen. Das würde helfen, um die Belastungssituation in den Griff zu bekommen.

Wenn wir wollen, dann schaffen wir das!

  • Wer, wenn nicht wir, ist in der Lage Menschen Schutz zu bieten, die vor einem brutalen Krieg und vor Verfolgung fliehen. Die Stadt Hamburg und die Zivilgesellschaft haben gleichermaßen gezeigt, wozu sie in der Lage sind, um Not zu lindern. Das Platzangebot in der öffentlichen Unterbringung wurde innerhalb weniger Monate quasi verdoppelt, ca. 20.000 Geflüchtete sind in privaten Wohnraum untergekommen. Die Krise beim Wohnungsbau müssen wir nutzen um gezielt geförderten Wohnraum im größeren Stil zu schaffen.
  • Wir dürfen die Haupt- und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe nicht alleine lassen. Gerade wenn die gesellschaftlichen Debatten härter werden, brauchen sie für ihre Arbeit vollen Support. Konkret, aber auch symbolisch.
  • Statt also Überforderungen kundzutun sind weitere praktische Lösungen nötig. Dafür brauchen wir weiterhin die Kreativität und das Engagement der Verwaltung und tätige Mithilfe der ganzen Zivilgesellschaft.
  • Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um die hohe Zahl der Wohnberechtigten in den öffentlichen Unterkünften abzubauen.
  • Es braucht analog zur Taskforce Eingliederungshilfe dringend eine Taskforce für das Amt für Migration.

Wir beobachten mit Sorge, dass die Diskussionen sich weniger um konkret wirksame Lösungen drehen, sondern symbolische Begrenzungsdebatten im Vordergrund stehen. Wichtig wäre es, wenn jetzt die demokratischen Kräfte in unserem Land konstruktiv zusammenarbeiten, die Herausforderungen angehen und Zuwanderung sowie Integration aktiv gestalten.



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