19. April 2016

Runder Tisch Prostitution – Worauf wir im Sinne des Schutzes und der Selbstbestimmung für Prostituierte achten müssen

Das Thema Prostitution ist eines, das nur allzu gern von den Medien und insbesondere der Klatschpresse aufgegriffen wird, das schnell hoch emotionale Debatten um Moral und gesellschaftliche Normen hervorruft und das allerseits die Gemüter bewegt. Gleichzeitig ist es ein Thema zu dem vielfach gesichertes Wissen fehlt und bei dem es bis heute an einer konsequenten sachorientierten Diskussion über die Bedingungen von Prostitution als Beruf und die Möglichkeiten des Schutzes von Prostituierten fehlt. Denn die Situation von Prostituierten muss bundesweit noch erheblich verbessert werden. Hamburg ist bekannt als Stadt der Prostitution. Sie führt seit Beginn ihrer Tage als Hafenstadt ganz besonders den Ruf des blühenden Prostitutionsgewerbes mit sich und noch heute ist die Reeperbahn mit ihren Sexshops und anliegenden Bordellen ein großer Anziehungspunkt – auch für Touristen und Geschäftsleute, die hier sexuelle Dienstleistungen entgegen nehmen. Auf der anderen Seite hat auch St. Georg als Bahnhofsviertel eine lange Geschichte von der Sexarbeit zu erzählen. Deswegen muss sich Hamburg ganz besonders mit der Frage nach besseren Bedingungen in der Prostitution auseinandersetzen.

Im Vordergrund muss hierbei ganz jenseits der moralischen Debatte, die vielerorts geführt wird der Schutz der Frauen und Männer stehen, die mit Prostitution ihr Geld verdienen. Hier müssen wir eine differenzierte und sachliche Diskussion führen. Wir GRÜNEN haben schon lange für eine differenziertere Diskussion plädiert. Es gilt vor allem zwischen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und legaler Prostitution zu trennen. Aber auch dort wo der Prostitution legal nachgegangen wird, gibt es sehr unterschiedliche Motivationen und Umstände aufgrund derer Prostituierte ihrer Tätigkeit nachgehen. So sind es für die einen ökonomische Zwänge und Notlagen, die sie in das Prostitutionsgewerbe bringen, während andere aus freien Stücken und mit Selbstbewusstsein diesem Job nachgehen. Diese verschiedenen Formen von Prostitution erfordern auch unterschiedliche Lösungsansätze, Regelungen und Beratungs- und Hilfsangebote.
Um die Bedarfe und Problemlagen im Bereich der Prostitution besser diskutieren zu können, haben sich die rot-grünen Fraktionen im Koalitionsvertrag auf einen zweiten Runden Tisch Prostitution festgelegt. Dieser soll die unterschiedlichen Akteur*innen in der Sexarbeit zusammenbringen und unter der Einbeziehung von Expert*innen Empfehlungen für Politik und Verwaltung formulieren. Um diesen Runden Tisch als Gremium stark zu machen und auch sicherzustellen, dass es hier zu produktiven Ergebnissen kommt, die dann auch tatsächlich in das politische Handeln einfließen und bald Wirkung in der Praxis zeigen können, haben wir als Grüne Bürgerschaftsfraktion uns schon frühzeitig Gedanken um seine genaue Ausgestaltung gemacht. Zu diesem Zweck haben wir am 22. März 2016 zum einem Fachgespräch mit dem Titel „Gelingensbedingungen Runder Tisch Prostitution“ ins Rathaus eingeladen. Hierzu kam ein Kreis von Expert*innen zusammen um mit dem hochkarätig besetzen Podium über die Erfolgsbedingungen des Zweiten Runden Tisches zu diskutieren.
Wir hatten das große Glück als Referentin auch Claudia Zimmermann-Schwartz aus dem Ministerium  für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) in Nordrhein-Westfalen gewinnen zu können. Nordrhein-Westfalen hat unter rot-grüner Regierung und Führung des Grünen Ministeriums einen sehr erfolgreichen Runden Tisch Prostitution durchgeführt. Dieser wurde von Claudia Zimmermann-Schwartz geleitet und wir hatten so die Gelegenheit aus erster Hand von ihren Erfahrungen zu hören. Sie gab damit schon wichtige Impulse für das Fachgespräch vor: Wichtig sei es vor allem, so Zimmermann-Schwartz, das Selbstverständnis des Runden Tisches zu Beginn ganz klar zu definieren. In einem Selbstverständnispapier müssten Prozess- und Rollenklarheit geschaffen werden, um den zielführenden Verlauf des Runden Tisches bei gleichzeitiger Ergebnisoffenheit sicherzustellen. Denn es sei zweitens ganz besonders wichtig, offen und unvoreingenommen an das Thema Prostitution heranzugehen. Gerade weil Prostitution so sehr mit Moraldebatten verknüpft sei, ist der sachorientierte Zugang ein ganz wesentliches Element des Runden Tisches. Die wissenschaftliche Orientierung wird durch das hinzuziehen von Sachverständigen gewährleistet. Klar ist, dass es auch auf die ständige Besetzung des Runden Tisches ankommt. Bei der Zusammensetzung der Teilnehmer*innen ist NRW besonders durch die Einbeziehung der Sexarbeiter*innen selbst positiv aufgefallen. Während der erste Runde Tisch in Hamburg die eigentlich Betroffenen als Teilnehmer*innen außen vor gelassen hatte, konnte NRW hier sehr positive Erfahrungen mit der Beteiligung von Sexarbeiter*innen am Runden Tisch machen. Claudia Zimmermann-Schwartz empfahl nicht zuletzt den Runden Tisch als ein gemeinsames Lernen zu begreifen. Es sei enorm wichtig zuzulassen, dass die eigenen Einstellungen zum Thema Prostitution sich während der tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Problemen der verschiedenen Ausformungen und Regulierungsbedarfen von Sexarbeit auch verändern können.
Wichtige Hamburger Expertise wurde im Fachgespräch von Vertreter*innen der Beratungseinrichtungen, einer Sexarbeiterin und dem LKA eingebracht. Zu Gast waren:

  • Angela Bähr, Fachbereichsleiterin Migrations- und Frauensozialarbeit im Diakonie-Hilfswerk Hamburg
  • Undine de Rivière, Pressesprecherin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.
  • Jörn Blicke, Abteilung für organisierte Kriminalität, LKA Hamburg
  • Gudrun Greb, Beratungsstelle ragazza e.V.
  • Stefanie Grabatsch, Leiterin des Basis-Projektes, basis &woge e.V.
  • Claudia Zimmermann-Schwartz, Ministerialdirigentin MGEPA, NRW

Als Moderatorin viel es mir dabei gar nicht leicht, die vielen wichtigen Anregungen und Perspektiven zu sortieren. Gudrun Greb, die selbst am ersten Runden Tisch Prostitution mitgearbeitet hat, beklagte vor allem, dass die Betroffenen nicht einbezogen wurden und die Ergebnisse des Runden Tisches nie konsequent von der Politik aufgenommen und verfolgt wurden. Wichtig sei es, sich für ein so komplexes Thema genügend Zeit zu nehmen. Auch müsse man beachten, dass Prostitution in Hamburg durchaus ein Wirtschaftsfaktor sei und daher der Schutz der Prostituierten und die Minderung der Kriminalität im Milieu im Spannungsfeld vielfältiger Interessen stünden. Nicht zu vernachlässigen sei auch der Aspekt der Gesundheit, ein Bereich in dem es auch durch das von der Bundesregierung geplante Prostituiertenschutzgesetz noch einmal zu erheblichen Veränderungen kommen wird. Undine de Rivière unterstützte zunächst die Einbeziehung von Sexarbeiter*innen in die Arbeit des Runden Tisches und forderte eine Erhöhung der Zahl der Teilnehmer*innen von zwei auf drei. Wichtig sei es auch, vor Beginn des Runden Tisches eine Bestandsaufnahme zur Sexarbeit in Hamburg zu machen. Natürlich müsse auch das unsägliche Kontaktanbahnungsverbot in St. Georg in diesem Zuge angegangen werden und Hinblick auf das kommende Prostituiertenschutzgesetz müsse man sich um eine Schadensbegrenzung bemühen. Auch Stefanie Grabatsch von Basis und Woge unterstützte die Forderungen der Ausgewogenheit in der Zusammensetzung des Runden Tischen und der Ergebnisoffenheit des Prozesses. Angela Bähr betonte zusätzlich noch einmal, wie wichtig es sei, die Ergebnisse anschließend auch zu sichern, damit sie entsprechend umgesetzt werden können. Dafür sei es wichtig, im Vorfeld eindeutig die Verantwortung zu klären und klare Zielvereinbarungen zu treffen. Auch der feste Teilnehmer*innenkreis müsse bereits anfangs klar begrenzt werden. Jörn Blicke erklärte, dass es aus Sicht der Polizei wichtig sei, bei der Teilnahme von Bordellbetreiber*innen am Runden Tisch vorsichtig zu sein. Allgemein mahnte er zu viel Gelassenheit beim Angehen des komplexen Themas Prostitution. Einig waren sich die Podiumsgäste dahingehend, dass der bessere Schutz und die Stärkung der Selbstbestimmungsrechte der Prostituierten die Arbeit des Runden Tisches anleiten müssten. Auch wurde noch einmal klar, dass eine regelmäßige Berichterstattung des Gremiums gegenüber der Bürgerschaft ein zentrales Element zur Ergebnissicherung sein müsse.
Aus dem allseitig als sehr produktiv empfundenen Fachgespräch ist nun sehr schnell auch ein Bürgerschaftsantrag hervorgegangen. Die rot-grünen Fraktionen haben einen Antrag (Drs. 21/4048) auf den Weg gebracht, der die Einsetzung des Runden Tisches fordert und bereits zentrale Bedingungen für seine Ausgestaltung definiert. So muss der Runde Tisch nachfolgende Kriterien erfüllten:
(a) Eine klare Begrenzung der Zahl der Teilnehmenden: Die Zusammensetzung desindem sowohl Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Behörden,Teilnahme eingeladen werden.
(b) Die Einrichtung als überregionales Gremium ohne zeitliche Befristung.
(c) Die Funktion als wissensgestütztes Beratungsgremium, das bei Bedarf externe Expertise einholt und Sachverständige hinzuzieht. Auch Anwohnerinnen und Anwohner können themenbezogen hinzugezogen werden.
(d) Die Gestaltung als ergebnisoffenes Gremium eingerichtet, das nicht in der Pflicht steht, in allen Bereichen konsensuale Lösungsvorschläge zu
(e) Die regelmäßige Berichtspflicht gegenüber der Bürgerschaft.
Neben dem Runden Tisch fordert der Antrag ebenso eine zeitnahe Evaluation des Kontaktanbahnungsverbots ins St. Georg und die Aufforderung des Senats an die Bundesregierung, den Bundesrat am geplanten Prostituiertenschutzgesetz zu beteiligen.
Über diesen Antrag bin ich persönlich sehr froh, denn es liegt mir am Herzen, dass sich die Situation der Prostituierten in Hamburg verbessert. Es darf nicht sein, dass sie sich mit schlechten Arbeitsbedingungen und zum Teil täglichen Repressionen abfinden müssen. Es gilt hier Stigmata entgegenzuwirken und soziale Ausgrenzung zu verhindern. Ich möchte, dass Prostituierte anerkannt und respektiert werden, ausreichend Schutz erhalten und ein gutes Beratungs- und Hilfsangebot zu Verfügung haben. Nur so ist Selbstbestimmung und Sicherheit für sie möglich. Dafür setze ich mich auch im Weiteren ein und werde die Arbeit des Runden Tisches von parlamentarischer Seite sehr aufmerksam und hoffentlich in engem Austausch mit den teilnehmenden Akteur*innen begleiten.